Heute nur gute Nachrichten - ich muss zweimal hinschauen: In gewohnter Aufmachung mit golden Lettern verziert titelt die BILD-Zeitung mit einer Überschrift, die man eher von alternativ ausgerichteten Publikationen erwartet. Auf den meisten Tischen in der Cafeteria des Supermarktes liegen die aktuellen Ausgaben wie erste Geschenke des heutigen Heiligabends. Gemeinsam mit meinem Espresso verziehe ich mich hinter die etwas dünner ausgefallene Zeitung. Und tatsächlich: lauter "gute" Nachrichten. Kein Mord und Totschlag, keine Katastrophe, kein Skandal. BILD-Zeitung weichgespült. Meine Stimmung hebt sich eindeutig beim Lesen, obwohl sich die Lektüre etwas wie gegen den Strich gebürstet anfühlt.
Der Aufmacher bleibt mir im Sinn. Auf der Heimfahrt drehen sich meine Gedanken um diese Idee der Zeitungsmacher, am 24. Dezember ausschließlich von Ereignissen zu berichten, denen sie das Prädikat "gut" anheften. Die journalistische Kunst, mit wenigen Worten komplexe Informationen auf das Wesentliche zu reduzieren und so aufzuarbeiten, dass sie bestimmte Emotionen auslösen, verfehlt auch diesmal ihre Wirkung nicht. Vermutlich ist allerdings die emotionale Reaktion auf die Lektüre etwas anders, als es der BILD-Leser gewohnt ist.
Dann erinnere ich mich an ein kleines Buch, das mich als junger Mann auf meinen Reisen begleitete. Auf dem blauen Plastikeinband war in weißer Schrift der Titel gedruckt: Die Gute Nachricht. Es war eine moderne Ausgabe des Neues Testaments: Geschichten von Jesus und seinen Freunden. Ich habe viel darin gelesen. Es war der Leitfaden und Inhalt meines Lebens. Und der Titel hielt, war er versprach: alles was ich da las, war eine gute Nachricht. Ich weiß nicht mehr, wie ich es damals ausgedrückt hätte, heute kann ich sagen: die "Güte" der Nachricht war die Erfahrung, dass das Leben immer voller Liebe ist, und dass nur die Liebe zählt. Das ist die Botschaft, die mich bis heute inspiriert und die ich im übrigen wie ein buntes Graffiti auf allen Wänden der religiösen und spirituellen Gebäude aller Kulturen wiederentdeckte.
Dass die BILD-Zeitung sich traut, den Fokus mal anders auszurichten, wird vermutlich ein flüchtiger Einfall der Herausgeber bleiben. Dass jeder gegenwärtige Augenblick eine Gelegenheit ist, das Wunder der Liebe zu entdecken, bleibt nach wie vor die beste Nachricht, die wir uns gegenseitig erzählen können. Und wenn wir bereit sind, das Geschwätz in der Welt zu überhören, werden wir sehen, dass auch die Zeitungen von nichts anderem berichten.
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