Montag, 26. Dezember 2011

Don't take it too seriously!

Ein Aspekt des menschlichen Bewusstseins ist sein Forschergeist. Das Interesse an Neuem hat den Menschen aus seinen Höhlen und Wälder heraus in die Weite unbekannten Terrains gelockt. Seine Wanderschaften haben ihm alles beschert, was wir heute als "Kulturgut" kennen.

Seit jeher durchstreifen Menschen auch die Landschaft des Bewusstseins mit dem Ziel, sich selber und die eigene Stellung im Beziehungsgeflecht des Kosmos zu verstehen. Religion, Philosophie und Psychologie entwarfen mehr oder weniger komplexe Landkarten, die der Orientierung in der Welt des Geistigen dienen sollten. Und tatsächlich war schon die Unterscheidung zwischen der Welt der Materie und der Welt des Geistes eine Landkarte, und dazu noch eine ziemlich ungenaue, die so manchen Sucher in die Irre führte. Sehr bald vergaß man, dass die so bunt ausgeschmückten und fein gezeichneten Landkarten nur Abbilder von Landschaften sind. Für bestimmte Wegabschnitte oder ausgewählte Fragestellungen können die Konzeptionen bei der Navigation durch die Szenerie dessen, was als Realität empfunden wird, hilfreich sein. Verwechselt man aber das eine mit dem anderen, die Landschaft mit der Landkarte, die Wirklichkeit mit ihrer Beschreibung, beginnt das menschliche Drama der Suche nach sich selber und nach Gott. Das Missverständnis, dass die Realität so ist, wie ich sie verstehe oder wie man sie mir vermittelt, hat einen geschickt programmierten Virus in das menschliche Forschungsprogramm gebracht. Das individuelle und das kollektive Bewusstsein wandelt fortan in einer Traumwelt, deren Projektionen auf der Leinwand des Geistes zum Dogma von Weltanschauungen geworden sind.

Suchende, die wie Traumwandler die Unterscheidung zwischen Traum und Wachzustand vergessen, geben ihren Forschungen meist eine große Bedeutsamkeit, die sie erklären, verteidigen und unter dem Drehbuch des eigenen Lebens entsprechend dramatisieren. Während Theologen und Philosophen, Esoteriker und Therapeuten, Kriegsherren und Politiker, Gurus und Demagogen ihre Ideologien in einer Weise propagieren, dass kein Zweifel daran besteht, dass sie wissen, wie es sich mit Gott und der Welt verhält, sitzt auf der anderen Seite das Publikum, das entweder nickend den Rednern folgt oder sich kämpferisch abwendet. Die Zuschauer offenbaren sich als die Akteure, die dafür sorgen, dass das Spiel nicht entdet.

Einer meiner liebsten Lehrer ist Paul Lowe. Er selber verstand sich eher als Entertainer, leitete einige Jahrzehnte lang Gruppen, in denen er die Menschen mit Humor, Kompromisslosigkeit und zum Teil  unangenehmer Klarheit dazu aufforderte, miteinander uneingeschränkt ehrlich und offen zu sein. Er unterstützte uns darin, im gegenwärtigen Moment wach und präsent zu sein und die erlernten Spiele, mit denen wir unsere Beziehungen kontrollieren wollen, zu beenden. Wir wagten es, uns zu begegnen, ohne zu wissen, was wir im nächsten Moment sagen oder tun würden. Diese Gruppen waren sehr lebendig und konfrontierend. Es entstand ein Raum von Nähe, in dem vieles möglich war, was weit außerhalb des Gewohnten lag. Die Versuchung, aus den Erfahrungen neue Schlüsse zu ziehen und neue Konzepte zu entwerfen war groß und die meisten von uns sind ihr erlegen. Jeden Abend aber, nach intensiven Erfahrungen mit viel Bedeutung und "Tiefgang", beendete Paul die Gruppensitzung mit den Worten: "don't take it too seriously!" - nimm das Ganz nicht zu ernst. Dieser Satz begleitet mich seither. Er öffnet in mir einen weiten Raum, indem er sagt: nichts hat letztlich eine Bedeutung. Es sind nur Konzepte, Gedanken und Schlussfolgerungen, die wie Landkarten versuchen die Landschaften des Bewusstsein zu vermessen. Das Leben entfaltet sich jenseits der Theorie. In jedem Moment neu und unvorhersehbar. Wer Gott ist und wer ich bin, erfahre ich, wenn ich mich dem Augenblick hingebe. Die Erfahrung ist flüchtig, dem denkenden Verstand nicht zugänglich. Doch sie erschafft eine Gewissheit, die keine Landkarte mehr benötigt.

Die Band Culcha Candela singt in ihrem Stück Morgen fliegen: "Das Leben hat keinen Sinn, außer den, den wir ihm geben". Eine mutige Aussage. Kratzt sie doch an einer Grundüberzeugung, dass dieses Leben einen Sinn haben muss, dass es eine Antwort auf die letzten Fragen nach dem Woher und dem Wohin geben muss. Aber was ist, wenn dem nicht so ist? Was wäre, wenn es keine Antwort gäbe? Was wäre, wenn mir in jedem Moment bewusst sein würde, dass ich es bin, der Bedeutung stiftet, dass ich die Modelle und Konzepte meiner Wirklichkeit geschrieben habe, basierend auf einer sehr eingeschränkten Auswahl von Informationen aus dem Bereich meiner Wahrnehmung? Was wäre, wenn ich so leben würde, als wenn das Leben ein Geheimnis bliebe, das in seiner Unerforschbarkeit mich vor dem Irrglauben bewahrt, es kontrollieren zu können? Was wäre, wenn ich das alles nicht zu ernst nehmen würde?

Mir ermöglicht diese Haltung eine tiefe Entspannung. Aus ihr heraus erscheint das Leben wie ein frischer Morgen nach einem erholsamen Schlaf: die Nacht ist vergangen, der Traum ist als solcher entlarvt. Wie will ich den Tag gestalten?





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